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Montag, 7. Mai 2012

Grouponjäger am Scharmützelsee


Kaffeetrinkende Kakoabohne oder
kakoatrinkende Kaffeebohne?


Das Daten-Messie-Team war auf Betriebsausflug. Die Hotelchefin des Landhauses in Bad Saarow meinte zu uns, dass wir diesmal ein "Upgrade zur Seaside" haben. Upgrade? Seaside? Gnädige Frau, wir würden in ihrem Hotel nichts anderes als eine Seeseitensuite mieten. Ob das Hotel denn voll sein würde? Ja, brechend. Und was ist der Grund dafür? Sie gibt vor, es nicht zu wissen. Natürlich lügt sie. Das Hotel hat wohl in diesem Monat eine Rabattaktion gestartet und sie via dem Dienstleister Groupon angeboten. Neben Angeboten zur Haarentfernung, Körperölen und Wellness hat es nun auch das Landhaus erwischt. Groupon-Gäste scheinen lästig zu sein und können nur ein Appartement mit Blick auf andere Appartements mieten. Dazu natürlich noch das obligatorische Drei-Gänge-Menü; wahrscheinlich Spargelsuppe, gebratener Zander und Schokoladentarte. Die Chefin des Hauses ist irritiert, nachdem wir im Hotel eingecheckt haben. Offenbar haben ihr die Mitarbeiter gesagt, dass wir keine Rabattgäste sind. Seitdem ist sie scheißfreundlich zu uns. Bei der Abholung am Bahnhof meinte sie noch, dass ihr Kind am Morgen in das Auto gekotzt hat. Warum reagiert man immer falsch und sagt gar nichts dazu. Warum sagt man nicht: "Entschuldigung, aber die Kotze ihres Kindes interessiert uns überhaupt nicht." 
Ja, es ist voll im Hotel, obwohl natürlich der Tüddelkram vom Weihnachtsfest fehlt. Im Flur immer noch ein gerahmtes Foto des ehemaligen Feriengastes Horst Köhler. Und tatsächlich: ein älterer Gast erzählt uns gleich von seiner erfolgreichen Schnäppchenjagd im Internet. Tolles Hotel, toller Blick, tolles Essen - und via Groupon alles ganz günstig. Man könnte neidisch werden. Warum sind wir so dumm und bezahlen den vollen Preis. Seeseiten-Upgrade und Kinderkotze. Manches bleibt merkwürdig hier. Beim Abendessen bringt eine Kellnerin unserer Buchhalterin ihre Bestellung mit den Worten: "Die Dame hat heute Lust auf Fleisch." Das versucht sie, ein wenig lasziv zu sagen, ohne dass ihr das gelingt. Ansonsten ist alles wie gehabt: 2 TV-Geräte, etwa 28 Programme, das Wi-Fi-Passwort für das Landhaus ist "landhaus"; nur klein geschrieben, wie ich zufällig an der Rezeption aufschnappe. Die Internetverbindung reicht aber nicht bis in die dritte Etage - Zimmer 302. Ansonsten finnische Sauna, ein brodelnder Samowar, eine Infrarotkabine und etwas, dass in einem dieser diversen Entspannungszimmer wie ein gemauerter Altar aussieht - mit einem Kopfteil für die Massage und einem Abfluss für das Blut, wenn die Menschen anschließend geschlachtet werden? Werden Groupon-Gäste hier vielleicht mit weniger Öl massiert und ohne Betäubung massakriert? Die Liegewiese vor dem See und der See mit seinen Kormoranen, Gänsejungen, Schwänen, Teichhühnern, Reihern und Stockenten. Die Lautpoesie der Vögel hört man auch noch um Mitternacht. "Welche Vögel sind denn auf dieser kleinen Insel gegenüber dem Hotel?" Niemand von uns weiß es, aber der hochgewachsene Kellner, kennt sich bestens aus, da er nach seinen Angaben, Segler sei. "Es sind Kormorane". Die sind wegen ihrer Appetits auf Fische gerade zum Abschuss freigegeben worden. Das sagt uns die Wikipedia und nicht der smarte Segler-Kellner. Der weiß aber auch, was im Zimmer 1408 im Overlook-Hotel passiert ist. Und bei meiner Videofonie mit Romuald Karmakar bietet der ihm eine Tasse Kaffee an. Ein kluger Mann. 
Mit dem Fahrrad fahren wir in den Nachbarort Reichenwalde. Wohnen hier die Reichen im Walde? Weit gefehlt. Hier wohnen nur Ameisen am Kirchhof. Und ich filme sie etwa 30 Sekunden lang. Die Kirche kann man sogar besuchen, wenn man sich den Schlüssel bei der Familie XY abholt. Wir fahren nach Bad Saarow zurück. Und nun? Haare schneiden lassen? Wir betreten einen Frisörladen. Zwei ältere Frauen am Anfang der Wechseljahre sind hier tätig. "Guten Tag". Keine Antwort. Wir stehen eine Weile im Laden herum. Eine schneidet, die andere telefoniert. Wir werden nicht beachtet. Gibt es her auch eine Groupon-Aktion? Neu eröffnet hat auch ein Feinkostgeschäft. Der günstigste Snack ist für schlappe 8 EUR zu haben. Wahrscheinlich ist der auch nicht viel größer als der Mikro-Happen aus dem Landhaus, den sie dort standardmäßig "Gruß aus der Küche" nennen. Aber der ist wahrscheinlich viel besser und umsonst. Eine Kaffeerösterei wurde eröffnet. Bad Saarow mausert sich. Auch wenn die  NPD etwa 25 Prozent an Plakaten in Wahlkampfzeiten rund um den Scharmützelsee aufhängt. Aber zumindest hat der Betreiber eines Hotels deren ehemaligen Bundesvorsitzenden zu verstehen gegeben, dass er als Gast in seinem Hotel nicht erwünscht sei. 
Fahrradausflug nach Petersdorf und zum Petersdorfer See. Das Dorf besteht nur aus einer Straße, die den See entlang führt. Aber man sieht einen Bewohner. Der ähnelt ein wenig dem Künstler Herman de Vries, langer weißer Bart und Haare. Er steht an der Gartentür und meint, dass der See zwar schön sei, aber stinken würde. Wir fahren einmal um den Petersdorfer See herum. Vielleicht stinkt er nur, wenn man hineinspringt. Ein älteres Ehepaar sammelt leere Flaschen, die die Leute zurück gelassen haben. Wir sitzen in einem Schiff auf einem Spielplatz und versuchen den See noch einmal zu fotografieren, den man aus dieser Perspektive kaum sieht. Aus Langeweile und Gehässigkeit fotografiert  eine Mitarbeiterin meinen Bauch aus der Froschperspektive. Er ist größer geworden. Außerdem sind die Temperaturen an diesem Ausflugstag gestiegen. Es ist immer unangenehm, wenn das Fett der kalten Jahreszeit auf plötzlich einbrechende Hitze trifft. Und dann kommen ganz automatisch die Vorsätze: weniger Eis, weniger Kuchen, keine Kartoffelchips. Vielleicht kann man sich das Fett ja auch auf Groupon-Basis absaugen lassen. 
Wir bleiben noch einen Tag länger, wechseln von Zimmer 302 zu 101. Nachts gehe ich an den See. Der Hotelbetrieb wird um diese Zeit eingestellt, die Eingangstür verschlossen und das Gitter an der Rezeption herunter gelassen. Die Gäste haben sich in ihre Appartements zurück gezogen und vom See blinkt es rot, weiß und silbern herüber. Es sind die Positionslichter von kleinen Schiffen und vom angrenzenden Windpark. Und auch die Tiere machen noch Lärm. Es ist die schönste Zeit hier. 


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