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Samstag, 15. Dezember 2012

Auf den Höhen enganliegender Zeit



1
Der Nachbar schlängelte sich die Luft dreimal (oder viermal) um die Beine, und immer heller: bis sie wie eine Hose aussah. Die Nachbarin, die es gesehen hatte, wandte entsetzt und ruckartig den vom Himmel fallenden Schlick ab und drehte den Kopf, um nicht – schimmelähnlich – von einem Galopp zum nächsten immer nur noch mehr zu vergrünen, noch grüner zu werden.
Anders: Oben lagen die grünen Auen blau da, durchkämpften wiehernd und mit viel Gelächter aus aller Länder Ferne kommend und kräftig schallend, der Nachbarins Gesicht. Daneben befand sich der Nachbar und sah, inmitten einer windigen Hose steckend, säumend in die Ferne aller Länder. Währenddessen klang, aus breiten Tälern heraus, rasend aufsteigendes Gelächter (aller Länder Herren) und über alle Berggipfel hinweg. Dazu baumelte schweres ROT am Himmel, sodass die Nachbarin einen Knopf drückte und schüchtern anmerkte: “Die kleinen Waldbeeren haben es ABER in sich!” - “Ja, Sie haben recht”, frohlockte der Nachbar und: “Es handelt sich hier um das himmelähnlich und vom Himmel her ALLE Schürzen aufblitzen lassende leuchtende und fette ROT der Sonne, in das wir ständig eingehüllt sind. “ - “Verlorenes GRÜN gibt es hier aber auch noch”, sprach die Nachbarin schnell, um sich wichtig zu machen, und: “Irgendwo daneben bewegt es sich und saugt leise und wie ein Milchkind knisternd alle satte Frische vom Boden der Haut auf.” - “Unsere liebe Frau Nachbarin!” schnalzte der Nachbar jetzt – lippenbebend - “Sie sind wohl durstig geworden! Ja! Immer schon haben Sie mir gefallen!”, nahm sie in seine kleinen Hände, warf sie einmal und zweimal in die Luft und begann dann, leise, aber bestimmt, zu jodeln, legte damit ein ganzes sattes rotes Lied auf die Luft, auf den Neid der Nachbarn, auf seine im Augenblick von einem Moment zum andern im Kreis wirbelnden Hosen und wiegte alles lange und immer länger von einem Himmel zum andern, dabei behutsam das Netto-Gesamtgewicht schätzend, um schliesslich zufrieden zu nicken und alles wie einen christlich bemalten Teller mit den angrenzenden und handlichen Berggipfeln auszuspülen, sich das Haar glattzustreichen und sich danach schweigend ins Tal zurückzubegeben, in ein dreitausend Meter tiefliegendes Schweigen, aus dem nichts, aber auch gar nichts jemals wieder gelöscht werden konnte.

2
Im Tal jedoch hatte sich die Hölle, die von oben her und über allen Dorfbewohnern tobte, von ihrer allzumenschlichen Kette losgemacht und betanzte nun temperamentvoll die kleine Hauptstrasse: Der riesige und ausufernde Wetterdienst, der sich angekündigt hatte, war von der Feuerwehr schnell und erfolgreich abgewehrt worden. Drinnen, in den Häusern, trommelten die Holzöfen ihre ihnen ganz eigen seiende Ofenhitze gegen die Häuserwände, schlugen damit immer heftiger auf sie ein, bis sie schliesslich zerquetscht und plattgedrückt davon abfiel, auf den Holzboden, und danach, wie aufgeworfen und leise die Lippen spitzend, einfach so herumlag. Sie, die Ofenhitze. Locker, das linke Bein angewinkelt. Oben darüber schwebte eine bürgermeisterliche Stirn, sich ehrfürchtig vor den Gesetzen der Menschheit beugend: “Steh auf, mein kleiner Besen”, säuselte sie und half der holzigen, plattgedrückten und mittlerweile beinahe menschlich zu nennenden Ofenhitze mit ausgestreckter Hand, aufzustehen. Diese liess es sich willig gefallen, bekam aber sofort Herzrasen, pulsierte im Innern eines weit entfernten Sterns weiter und begann dann, singend vor sich hinzuverbrennen. 

3
Dann flog die Garagentür im Dorf mit lautem Krach auf und in die Luft, sodass alle, die man in dem Moment in dieser Garage finden konnte, nach oben sahen. Der von der Regierung vor Jahren an die immer heisser werdende Garagenwand hingehängte Hammer begann, das Feuer zu erflackern, vor dem sich jetzt alle fürchteten. Das Erdbeben hatte in einem Abstand von etwa hundert Kilometern seinen Anfang genommen und war dann in dem kleinen Dorf einfach steckengeblieben. “Hier geht es nicht weiter, dort drüben ist aber auch noch Platz”, gesellte sich der Nachbar mit aufgeblasener Zunge dazu, machte eine Kehrtwendung und verfiel in schallendes Schweigen. “Was tun sie hier?” Fragte ihn der Polizist und zeigte auf die immer heisser werdende Garagenwand. “Man sollte die Feuerwehr rufen, auch wenn sie grade am Mittagessen sind” antwortete der immer noch schallende, ansonsten jedoch schweigende Nachbar. “Das macht nichts”, erwiderte der Polizist verständnisvoll und machte ein ernstes Gesicht: “Hier geht es um wichtigere Dinge als den täglichen Mittag aufzuessen. Schliesslich sind auch die Abende köstlich und bekömmlich.” “Nicht jeder” wandte der Nachbar ein, hörte endlich ganz zu schweigen auf und presste seine Hand an die von Tag zu Tag immer heisser werdende Garagenwand und sagte: “Wir können das Erdbeben nicht aufhalten, selbst wenn alle nurmehr die Nächte fressen wie sie fallen. Fallen heisst ja nur, sich der Erdanziehung hinzugeben, zu ergeben, um nicht zu sagen: schlappzumachen. Wir müssen da jetzt schlappmachen.” - “Wie weit ist das Feuwehrzentrum denn von hier entfernt?” Mischte sich die Gattin des Nachbarn ein (wieder, um sich wichtig zu machen). “Ja, wenn Sie das nicht wissen, wie soll ich es dann wissen”. Alle drehten sich nach dem Sprecher um. Wer war das? “Ein Zeuge Jehovas, aus dem Nichts aufgetaucht und irgendwo stehengelassen”, tuschelte der Polizist der Nachbarsgattin ins Ohr und streichelte dasselbe kurz danach. Sanft. Und so sanft, dass der Gatte der Nachbarsgattin, der Nachbar also, nichts davon bemerkte. “Der Weizen spriesst heuer wie der Teufel!” Niemand antwortete, weil niemand wusste, wer es gesagt hatte. Die Nachbarskatze wand sich währenddessen um alle herumstehenden Beine herum, polierte so ihr Fell und sprang anschliessend auf den Tisch, um sich ein paar rohe Eier zu genehmigen, kurz: sie auszuschlürfen. Oder besser: schlecken. “So eine Sauerei!” Schrie jetzt der Polizist und haute der Katze auf den Schwanz. Diese knurrte, bewegte sich aber keinen Fingerzeig weg von den Eiern.

“Ja, was machen wir denn nun?” Fragte der Polizist, sah triumphierend in die Menge und hustete. Sein Husten kam jedoch nicht gut, sondern viel zu gebrochen. Sein Husten war in kleine Stücke gebrochen, unförmige Bruchteile davon purzelten durch den Raum hindurch, stiessen sich schliesslich an der immer noch heisser werdenden Garagenwand wund. “Sie werden noch ganz auseinanderbrechen und sich schliesslich auf mich stürzen – wie Würmer”, murmelte die Nachbarsgattin leise und lehnte sich zum Schutz vor den Hustenwürmern des Polizisten an die immer noch heisser werdende Garagenwand an und derart, dass es ihr den Hintern, bzw. den Rock verkohlte. “Vielleicht sollten wir alle zuerst einmal hinausgehen, ins Freie, da, wo es nicht sofort zu brennen beginnen wird, da, wo, falls das Erdbeben doch noch hierher, zu uns findet, niemandem keine Dachziegel niemals um die Ohren sausen werden.” Der Zeuge Jehovas war mutig geworden und hielt sein mitgebrachtes Buch in den Garagenhimmel, um besser und lauter daraus vorlesen zu können. “Aber doch gerade draussen im Freien haben die herumschwirrenden Dachziegel freien Lauf und leichtes Spiel!” Rief jetzt der Nachbar geistesgegenwärtig und riss die Augen zu mehreren grossen und christlich bemalten Tellern auf. “Wir müssen uns um die Mülleimer kümmern!” Erinnerte daraufhin die Nachbarsgattin und griff nach dem immer stärker flackernden Regierungshammer, um einer draussen vorbeischwebenden Wolke auf den Kopf zu hauen. “Aber was tun Sie denn da?” Der Polizist riss ihr den Regierungshammer aus der Hand: “Wir müssen sie aufstechen, damit ihr das Wasser ausläuft und sie das vielleicht kommende Erdbeben-Feuer löscht! So geht es ja nicht mehr weiter. Hier singt keine Amsel mehr, die Katze schlürft die letzten Eier leer, knurrt uns an, die Garagenwand ist dabei, zu zerbersten, der Regierungshammer verhindert und bremst die Löschkraft der Wolken ...” – “Was können wir denn nur tun?” Fragte sich der Nachbar nun laut selbst und riss sich ausserdem derart und zum Ärger aller an den Haaren, sodass diese überall und um alle anderen Köpfe nur so herumflogen, während ihm seine Gattin, die Nachbarsgattin also, selbstbewusst entgegnete: “Gegen ein Erdbeben kann man bekanntlich gar nichts tun. Wir sind ihm ausgeliefert wie die Haie den Filmproduzenten, wie die Mülleimer der Müllabfuhr. Wir sind absolut machtlos.” - “Na, das möcht ich meinen!” rief nun er, der Nachbarsgattinsgatte, verzweifelt und stürmte mutig ins Freie, breitete seine Arme dort aus und rief noch einmal: “Endlich frische Luft! Es gebe das Nehmen, alles ethymologisch bewiesen!” , klatschte in die Hände und sah erwartungsvoll in den Himmel, der aber gar kein gutes Gesicht dazu machte. Der Polizist riss ihn weg – um ein Haar wäre er unter der umstürzenden gegenüberliegenden Häuserwand begraben worden. “Erwin! Mach doch nicht solche Dummheiten!” Rief ihn nun die Nachbarsgattin beim Namen und zündete sich eine Zigarette an. “In meiner Garage nicht!” Rief daraufhin der Garagenbesitzer und deutete wildgestikulierend auf die immer heisser werdende Garagenwand, während ihm sein eigenes sowie die lose herumschwebenden Nachbarshaare ins Gesicht fielen und erst einmal nicht zu vertreiben waren, denn: die beiden Hände, mit denen er sich die ganze Zeit an der Wand abgestützt hatte, waren in diesem Augenblick dort klebengeblieben; eine Art Lava, die aus allen vier Wänden mit unergründbarer Kraft herausschoss, während dem Garagenbesitzer bereits die ersten Finger wegschmolzen. “Tun Sie etwas” Befahl die Nachbarsgattin der Allgemeinheit und stemmte eine Hand auf die linke Hüfte, während sie mit der anderen die Katze von den Eiern wegriss, um sich mit deren Fell das Haar ein bisschen glattzustreichen. Der Polizist riss am Garagenbesitzer, um ihn von der Wand samt seiner auf Nimmerwiedersehen dahinschmelzenden Finger und Hände wegzureissen, allein: es half nichts. “Haben Sie denn Schmerzen?” fragte er beiläufig und sah kurz darauf wieder zur Nachbarsgattin, auf deren Kopf mittlerweile die Katze wie eine ägyptische Sphinx ruhte und elegant auf alle anderen hinuntersah und laut schnurrte. In dem Moment gab es einen lauten Knall, sodass alle zusammenschreckten, um sich sofort sowie im Geiste sowie real wie Schnecken zu verschiedenen Häusern zusammenzurollen. Der Polizist steckte den Kopf aus seinem Haus heraus und lugte um die Ecke, sah zur Garagentür hinaus: “Das Nachbarhaus ist soeben zusammengebrochen!” vermeldete er, und schnappte nach einem vorbeifliegenden Rhabarberstiel, schleckte daran: “Gibt es hier irgendwo Zucker?” Die Nachbarsgattin rannte, stets treu ihrem Dienst an der gesamten Menschheit ergeben, auf den Dachboden, kämpfte sich durch dichte und sehr aggressive Spinnengewebe hindurch, liess die katzenähnliche Sphinx im Flug zurück. “Hören Sie doch endlich auf, uns den Kopf zu zertrampeln”, rief der Nachbarsgattinsgatte jetzt, schlug sich gegen den Kopf und fragte sich, wieso er seine eigene Gattin plötzlich mit Sie anredete. Alle lachten verständnisvoll, klopften ihm auf die Schulter, während es von oben her ertönte: “Hier gibt es keinen Zucker, aber einen Haufen Mäuse!” Das liess sich der Polizist nicht zweimal sagen: zuerst gab er der Katze einen Tritt, danach stürmte er die kleine schmale Holztreppe nach oben, schoss mit seinem Jagdgewehr riesige Löcher in die aggressive und dichte Dichte der Spinnenetze, riss die Nachbarsgattin an sich und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund, sodass die Hitze der Garagenwand mit einem Mal derart stieg, dass sie explodierte, woraufhin sich alle auf leisen Sohlen davonmachten, ausser dem Nachbarsgattinsgatten, zu anderen Zeiten schlicht “Nachbar” genannt, der zusammen mit der explodierenden Garagenwand einfach mitexplodierte. 
Wie es dem Polizisten, der Nachbarsgattin sowie dem im Dorf steckengebliebenen Erdbeben weiter ergangen ist, davon ist nichts bekannt.


Gundi Feyrer

http://www.zintzen.org/autoren-authors-auteurs/gundi-feyrer/

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