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Donnerstag, 5. Dezember 2013

insulae


In dem Feature 'insulae' von Hartmut Geerken werden drei Inseln akustisch vorgestellt, die geografisch und atmosphärisch nicht weiter voneinander entfernt sein könnten: die bekannteste ist das seit Jahrzehnten vom Tourismus bevölkerte Bali, die unbekannteste nannte Homer Ogygia; sie ist der südlichste Fels Europas, eine vergessene Insel mit nur 30 ständigen Bewohnern, 120 Meilen von der libyschen Küste entfernt, aber noch zu Griechenland gehörend, obwohl immer wieder auch die Türkei Territorialansprüche stellt. Im Staatsvertrag zwischen Griechenland und der Türkei wurde nämlich vergessen, diese Insel mit aufzunehmen. Man sagt, dass dort Kalypso gehaust und Odysseus jahrelang festgehalten habe.
Die dritte 'Insel' ist von besonderer Art. Der berliner Philosoph Salomo Friedlaender/Mynona schafft sich nach der Vertreibung aus seiner Heimat in den Jahren 1933 bis zu seinem Tod 1946 in einer winzigen Sozialwohnung in Paris und unter katastrophalen ökonomischen und politischen Verhältnissen seine eigene, nur auf seiner inwendigen Landkarte verzeichnete Insel. Er nennt sie 'ICH-Heliozentrum'. Friedlaenders Grundgedanke ist, dass sich jedes Individuum im Innern sein eigenes Sonnensystem erschaffen soll, analog dem der kopernikanischen Revolution in der Astronomie, denn der Einzelne, daher auch die Gesellschaft ist bis heute ptolemäisch ausgerichtet, mit der Erde im Mittelpunkt des Denkens.  Dies soll sich ändern, indem jeder Einzelne seine eigene innere Sonne kultiviert, um die der ganze planetarische Alltag zu kreisen hat. Alles Äußere würde sofort verbrennen, wenn es in die Nähe dieser inneren Sonne käme. Nur unter den Bedingungen des ICH-Heliozentrums sei der Weltfrieden garantiert, sagt Friedlaender, und nicht durch Staatsgrenzen, Parteien, Religionen, die zwangsläufig immer wieder ins Chaos münden. - In extremer Armut dahinvegetierend hat Friedlaender diesen Gedanken in unermüdlicher Frische sein Leben lang weiter entwickelt und wurde dadurch zu einer Art Insel inmitten der Unbilden von widerstreitenden Meinungen.
Diese drei durch Meer oder Gesellschaft isolierten Inseln werden in 'insulae' akustisch präsent durch aktuelle Aufnahmen von ungewohnt exotischen Geräuschen, durch hochkomplexe balinesische Musik, durch Stille und durch eine Stimme, die aus den Exil-Tagebüchern Friedlaenders aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts bestimmte Passagen artikuliert. Die Auswahl dieser Zitate blieb dem Zufall überlassen. Es sind kurze Sequenzen und Notizen die gerade erst vor wenigen Wochen aus den handschriftlichen Tagebüchern transkribiert wurden und bisher unveröffentlicht sind.
Schrille Aufnahmen vom Vorabend des balinesischen Neujahrsfests 'Nyepi' werden von Friedlaenders Sätzen tangiert, die in der stillen Atmosphäre eines Apollotempels oder der absoluten Abgeschiedenheit einer Schlucht auf der vergessenen Mittelmeerinsel gesprochen werden. Dadurch werden unterschiedliche akustische Räume wahrgenommen. Die Entfernungen der Inseln voneinander schrumpfen durch die Mischung ihrer jeweils typischen Sounds.
Verschiedene Formen von Glück gehören zum Thema. Ein balinesischer Gecko verheisst Glück, wenn er sieben- oder, noch besser, neunmal hintereinander seinen Ruf 'to-kee' vernehmen lässt. Die Isolation und Stille auf einem vergessenen Eiland und das Eingebundensein in die natürlichen Abläufe können, wenn man es zulässt, allumfassende Glücksgefühle hervorrufen. Und ein aus seiner Heimat verjagter Philosoph kann sich, sogar noch in akuter Lebensgefahr in eine Insel der Glückseligen hineindenken, auch wenn der Alltag dies für unmöglich erscheinen lässt.

Regie, Tonaufnahmen, Sprecher: Hartmut Geerken
Texte: Salomo Friedlaender/Mynona
Musik: Satya Brasta, Ubud, Bali

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