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Sonntag, 13. April 2014

Tschernobyl-Zyklus (6) – Das Ende


Während  vieler Monate in der Zone, hatte ich begonnen, die Belastung und die Erschöpfung für Leib und Seele zu fühlen. Es schien mir überhaupt unmöglich, mich zu erholen. Wir mussten 15 Tage im Monat arbeiten, vorausgesetzt, dass wir in den folgenden 15 Tagen die Kräfte wiederherstellen konnten. Aber offenbar hatte sich in mir die verteufelte Strahlung angehäuft. 

Einmal fuhr ich nach der Arbeit am Reaktor nach Hause zur Erholung. Im Abteil des Zuges fuhren mit mir drei Normalbürger, zwei Frauen und ein Mann. Aus der äusseren Tasche meiner Jacke war wie gewohnt mein Geigerzähler zu sehen . Der Mann fragte mich, was das für ein Ding sei. Dummerweise sagte ich, dass ich aus Tschernobyl nach Hause fahre und dass dies der Zähler für die Strahlung sei. Aus der Toilette zurückkommend, fand ich die Reisegefährten nicht mehr im Abteil vor, sie hatten sich in einen anderen Wagen verflüchtigt. Die Schaffnerin sagte, dass die Leute aus den benachbarten Abteilen sie baten, mich woanders unterzubringen. Ich habe mich im Spiegel angestarrt und entdeckte die spezifische Todesblässe auf meiner Physiognomie. Offenbar rief es bei den Menschen Angst hervor. Ich verstand, dass mein Tschernobylepos zur Neige geht.

In die Zone zurückgekeht, begann ich, mich für die in mir angesammelte Dosis der Strahlung zu interessieren und entdeckte, dass sie mit dem lebenden Menschen schlecht vereinbar ist. Für die Ärzte war ich ein Exponat, ein Versuchsgegenstand. Obwohl ich mit Sicherheit invalide war, boten sie mir händevoll farbiger Tabletten an. Ich schaute meine Mitmenschen an, die diesem Unsinn vertraut hatten; ich war entsetzt und flüchtete wie ein gemeiner Feigling aus dem Krankenhaus. Hinterher bekam ich Empfehlungen, viel im Bett zu liegen und mich nicht der Sonne auszusetzen. Aber genau das Gegenteil muss man tun. 

Ich verdingte mich in der Steppe in der Brigade der Ackerbauern, erntete unter der sengenden Sonne, zusammen mit gewandten, erfahrenen Mädchen jeden Alters, den Kohl, die Rüben, fünf Kilometer lange Reihen. Sie waren aber menschlich und schonten mich. Sie liessen mich 10 Minuten arbeiten, dann durfte ich mich eine halbe Stunde an den Feldrand legen, dann wieder 10 Minuten arbeiten usw. Ich trank den selbstgebrannten Schnaps in gleichen Mengen wie sie und litt unter Erbrechen und Kraftlosigkeit. Nach einiger Zeit merkte ich, dass die Lebenden den Toten vom Tode gesundgepflegt hatten.

Seit jener Zeit habe ich irgendwie 25 Jahre überlebt und wollte endlich meine Tschernobylgeschichte beenden, aber der Teufel hat mich geritten, den Staat um eine Rente als Liquidator zu bitten. Ich besass alle Dokumente meiner Tätigkeiten, doch die erhabene Kommission von fünf mir unbekannten Bürokratinnen hatte entschieden, dass ich keine Funktion ausgeübt  hätte, nicht dort war, nicht diente, und hat mir eine Rente von 90 Euro ausgesetzt. O, Russland, meine Heimat! 

Doch das ist noch nicht das Ende. Ich habe mich auf gut Glück an die Königin Beatrix von den Niederlanden gewandt, bat sie um ihre Hilfe, da ich unter Einsatz meines Lebens, Europa vor vielen Unannehmlichkeiten, vor radioaktiver Verschmutzung geschützt habe. Es kam die Antwort: die Königin hilft niemandem persönlich. 


Also, das ist das ganze Ende. Ich bin bis jetzt lebendig, obwohl es überhaupt nicht sein kann -  „kuckuck“.

Андрей Дроздов-Рабе

Andreas Amsel-Rabe

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