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Dienstag, 2. Juni 2015

VERLOREN – GEFUNDEN, FOLGE V – Mohwel. Neue Lieferung (M.--00--07---10./002)

Copycat Vandyke
Diese gedanken echoten nun in seinem kopf, und ein bild entstand: fusselbärtchen, abgewetzte cordlatzhosen, eine handbewegung zum zurechtrücken der nickelbrille. Imagination und reminiszenz erzeugten eine kleine innere filmsequenz: zwei, drei langsame schritte, grobmaschiger bauschiger wollpullover fällt über die abgewetzte graue cordlatzhose, die jetzt in die knie geht, vor der fleckigen alten weinkiste, die hier umgedreht als kaffeetischchen dient. Zwei hände aus weiten, langen bauschigen ärmeln setzen zwei selbstbemalte schälchen, die mit dampfenden tee gefüllt sind, vorsichtig auf dem holz ab. - Zucker? -- Nein, nein. -- Vorsichtig, ist noch heiss. Oder ich guck gleich mal, ob noch rum da ist. Und du kannst schon mal deine texte auspacken.-

TK war das; er sah noch dessen gesicht vor dem seinigen, die hand von TK am bärtigen kinn, nachdenklich, dann glitt die hand hinauf zur brille und rückte sie zurecht. Natürlich war auch der geruch gleich wieder da. Ein film aus celluloid bietet diesen service nicht: den geruch nach ungelüftetem zimmer, zahlloser selbstgedrehter rauch und was auch sonst noch. TKs kleiner grobkörniger schwarz-weiss-tv mit zimmerantenne. Aber ist hier Theodore Köpfen? Der andere bedingt offensichtlich den einen. Aber bedingt auch der eine den anderen?

Gegenüber der couch wartete wortlos die arbeit. Aber an recherche war zur zeit nicht zu denken. Mohwel. Die Mohwelianer. Die Münsterer. Oben auf einem der hinteren stapel, links vom cc musste sein favorit liegen, eine schmale, in segeltuchfarbenes leinen gebundene arbeit, die studie von Viincent Linsel: - Mohwel. Der selbstreferentielle Mythos --, und der gedanke an Linsels werk (Tübingen 1990) war jetzt noch angenehmer als vorhin der an den interceiver. 
Doch zerstreuender war es, an Theodore Köpfen zu denken, an das burleske, versatzstückhafte seiner manifestationen; genau das waren gerade die wörter: - das burleske, versatzstückhafte seiner manifestationen -, an seine undefiniertheit - - undefiniertheit?

Wieder löste er sich von seinen gedanken zugunsten eines blickes auf die beiden unweit voneinander im nun wärmeren nachmittagslicht schwefelgelb blinkenden lampen an pc und cc. Am icv tat sich nichts; er war noch (unleserlich) und daher auch an der info-maintenance des webs unbeteiligt, die seit nunmehr fast fünf wochen die speicher füllte. in den ersten zwei wochen war es recht chaotisch zugegangen; er hatte zu beginn mit viel zu vielen und viel zu undefinierten issues in der maintenance gearbeitet, was dazu geführt hatte, dass seine unschuldigen boxen plötzlich mit den brambarisierten elaboraten unzähliger zugedröhnter semireligiöser sektierer vornehmlich US-amerikanischer provinienz zugeschwallt worden war. Insbesondere der wiedertäuferkomplex schien es den leuten angetan zu haben; er hatte einiges überflogen und festgestellt, dass die Münsterer demnach für Mutter Theresa ebenso verantwortlich waren wie für Charles Manson. Inzwischen aber hatte er seinen wissenzufluss kanalisiert, und das schwefelgelbe augenpaar war ebenso seltener wie kostbarer geworden. 

- Ich muss montag unbedingt dem hinweis auf Vandyke nachgehen - fiel ihm plötzlich ein. In den letzten tagen war mehrfach das monumentale standardwerk Dean Vandykes über die zeit der amerikanischen sezessionskrieges in bezug auf die Mohwelianer genannt worden; der begriff - movelians - kam dort offensichtlich einige male vor; er soll etwa der zur mitte des 19. jahrhunderts ebenso politisch wie wirtschaftlich mächtige Calhoun-clan aus Mohwelianern bestanden haben. - Aber ich will wissen, was sonst noch drin steht. Vielleicht das erste, was ich mit dem icv mache? Ich fummele mal morgen ein wenig mit dem ding rum, geb schonmal den code für Vandykes buch ein, titel weiss ich schon gar nicht mehr, erschienen Syracuse 1978, egal, muss sowieso nochmal gucken wegen des codes. Titel
brauch ich doch gar nicht, könnte den code doch aber auch mit dem icv erfragen, wozu ich den titel wohl doch bräuchte, oder ich bekomme alle titel vorgeschlagen. Egal, ich schau morgen mal, wie ich damit zurechtkomme. Dass ich das am montag gleich machen kann.-

Am liebsten alles mit dem icv machen. Sich gegen 10 uhr auf den weg zu Joshuas garage machen. Den icv - montierbar an manschette, gurt, armaturenbrett, nachttisch, badewannenrand, sonstwo - zücken, auf E-trans gehen, die nötigen codes und begriffe eingeben, - ich werde mir alles ins Copycat kommen lassen; mal sehen wie es klappt -, senden, und dem etwa auf halbem wege zu Joshuas garage kurz hinter der Blücherstrasse gelegenen Copycat zustrebend auf ein fröhliches akustisches signal als zeichen einer gelungenen aktion warten. Der zu einem schwarz gefüllten neuneck geometrisch stilisierte katzenkopf mit dem darin aus pro buchstabe unterschiedlichen schrifttypen zusammengesetzten weissen schriftzug - Copycat - über beiden eingängen. Die unverkennbar studentische atmosphäre. Dünner kaffee in geriffelten pappbechern. Aber hier gab es eigentlich immer freie stationen, insbesondere am montagvormittag, und das stete summen und tastenklappern, die gedämpften unterhaltungen hinter der tür zur raucherzone hatte er schon richtig liebgewonnen.

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