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Mittwoch, 28. Oktober 2015

Salat-Gedicht

Fritz Sauter: Porträt des Künstlers als Salatkopf

Salat hat Eisen
Salat hat Mangan
ich bin mental stärker
als mein Ur-Urahn

Salat ist gesund
und nicht immer rund
Salat hilft beim Sex
und ist dabei mein erster Reflex

Mit Salat allein
wäre die Welt besser
und alle Nahrung
frei von Schwein

Salat macht jung
verleiht Schwung
mit Kupfer und Zink
sind meine Bewegungen so flink

(H.A.)



Dienstag, 20. Oktober 2015

Nonplusultra

Gespenster am Fenster von Detlef Thiel

Ja, gewiß doch wohl ist heute die Zeit der Rekorde (sogar hat daraufhin jemand sein Töchterchen ,Rekordula’ genannt). Schon vermerkt der Kanal es übel, wenn ihn nicht täglich einer zwischen die Blitzbeine nimmt. Immerfort übertrifft einer den Andern im Tanzen, Radeln, Auteln, Flettnern, Fliegen usw. Redaktionsastrologen sorgen redlich dafür, daß die Zeitungen die Berichte noch vor den Geschehnissen bringen. Kopfhörer und weinerliche Lauthörer für Sterbende sind bereits erfunden. Thomas Mann schlug neulich in der Preußischen Dichterakademie den Aussender für letzte Worte großer Männer vor. An Abgesetztheit überbietet ein Fürst den andern. Der allerrascheste Weltumflieger scheint sich nicht mehr vom Fleck zu bewegen, weil sein Flugzeug im Bruchteil einer Sekunde um die Erdkugel zuckt. Werdende Mütter wetteifern, die langweiligen neun Monate zwischen Erzeugung und Geburt bis auf den schäbigsten Rest zu komprimieren. Man munkelt von einem Wettrennen, wobei Nurmi den Dr. P. durch Trick erledigte: in optisch ihn nullender feldgrauer Papierhülle stand er von vornherein am Ziel; in Gestalt einer Wachspuppe, die beim Knallsignal explodierte, am Start; zugleich zerriß er jene Hülle – am Beginn im Gewinn. P.s Wut war so ohnmächtig, daß er seitdem psychopathisch hinkt und seine Villa ,Schneckenhaus’ nennt. – Verzeihung, daß ich erst jetzt den erlauchten Namen Albert Einsteins in meinen unwürdigen Mund zu nehmen wage. Dieser fast Unsterbliche kommt soeben mit dem genialen Vorschlag, die zeiträumliche Prädisposition des menschlichen Hirns funktionell dermaßen zu alterieren, daß (wie vermittelst eines rapiden Zeitraffers) alles Nacheinander je nach Bedarf ins Zugleich verwandelt werden kann: so wird der Weltraum erobert. Eine Moszkowski-Gesellschaft für Stern-Rundreisen ist gegründet. – Auf dem Gebiete des Erlösungswesens, das bisher tief daniederlag, hat eine Fabrik, die jede Minute gut und gern sechzig Heilande (Buddhas, Bubers, weise Rabindranathans und andere Himmelswandervögel) liefert, jeden Ford-Schritt übertrumpft. Jedermann erhält hier auf Bestellung seinen individuellen Erlöser, keine fertige Ware, sondern Maßarbeit; eine Art Chasalla. – Elektrisch betriebene Coué-Mühlen (Kontakt-Stecker) ersticken jeden Krankheitskeim im Entstehen, rhabarbern unermüdlich ihr ,Vontagzutag’, und die armen Ärzte können im Erfinden neuer Krankheiten kaum noch Schritt mit ihnen halten. – Wurden vormals mit Leichtigkeit Rekorde im Lügen geschlagen, so daß es keinen Balken gab, der sich nicht krumm bog: – was sagt man nun dazu, daß neulich Einer die Wahrheit so stark sagte, daß diese selben Balken sich wieder automatisch grade streckten? Den Rekord im herzhaftesten Stottern errang sich eine Dame, die ihn zugleich in Unschuld davontrug (allerding bald darauf in einer Häßlichkeitskonkurrenz siegte). Rekorde in Ehebruch, Dummheit, Invalidität, Eitelkeit werden kaum noch beachtet.

Und sieheda! Trotzdem hat sich an Rekord noch etwas schier Unglaubliches zugetragen, davor selbst Ben Akiba reuig kapituliert: In der Frühe des ehegestrigen Tages starb ich ebenso langsam wie ziemlich sicher, und selbstverständlich ließen meine Leute mich verbrennen; das macht heute guten Eindruck, denn ein Toter, der nur beerdigt wird, scheint immer noch zu spuken, das ist unerquicklich. Man sei nicht bloß tot, sondern bitte mausetot. Erst die Asche des Verbrannten ruht so recht sanft. Wie aber Gerhart Hauptmann seinem Eckermann mal vertraulich mitteilte, ist auch das Krematorium kein Schutz vor Unsterblichkeit. Ich Ärmster sah mich plötzlich in aschiger Schemenhaftigkeit mitten in einer schauerlichen Versammlung lebender Leichname, die eine Wette miteinander austrugen: ,Wer ist am besten verwest?’ suchten sie zu ermitteln. „Achtung, Zwischenstufe!“ warnte mich Stolpernden ein fauliger, blutiger Kunde, der den komischen Eindruck eines im frischesten Ermordetwerden Steckengebliebenen machte, und der mich widerlich orientierte: „Bei ehrlich Verwesten bildet sich das Geschlecht sächlich heraus. Wir haben sofort gespürt, daß Sie jeden Rekord im Verwestsein schlagen. Sie stinken nicht mehr, und die Würmer sind weg. Reinste Asche. Kommen Sie mal, daß ich Sie dem Schiedsrichter präsentiere!“

Bevor ich nachdenken konnte, stand ich purer Aschenmensch vor einem Kadaver aus jauchiger Gallerte, der mich mit wurmstichigen Totenschädelaugen schneidend scharf prüfte, dann zwischen mulmigen Kiefern grinste: „Gut. Gewonnen!“ Er drapierte sein Leichentuch frivol dekorativ, ließ meine Asche kritisch durch die Knochenfinger rieseln: „Tadellos! Wie haben Sie das gemacht? Waren Sie korpulent? Sie sind hier der beste Verwesemann ... hießen Sie etwa Stresemann? Ich ernenne Sie zum Weltmeister im Leichtverwesen – nonplusultra.“ Damit wollte er sich meine Asche aufs Haupt legen. Aber ringsum das gräßliche Gewimmel der Leichen krächzte: „Schiebung! Schiebung! Gib ihm Saures!“ „Wieso?“ fragte der Allzu-Unparteiische, innehaltend. „Krematorium!!!“ heulten die Leichen, „der hat sich ja verbrennen lassen, das ist keine Kunst!“ Und Jener warf mir meine eigene Asche in mein beschämtes Schemenantlitz. Mit vereinten Kräften bugsierten sie mich in die ebenhölzerne Urne zurück, aus der ich geisterhaft aschig auferstanden war, um mich ausgerechnet in ihre Konkurrenz um den höchsten Grad der Verwesung zu mischen. Man wird mir zugestehen, das ist zwar heutzutage überaus aktuell. Aber schlägt das nicht doch jeden erdenklichen Rekord in sämtlichen Rekordveranstaltungen?
Weiter möchte ich nichts behauptet haben.

Mynona

Simplicissimus, Nr. 38: „Höchstleistungen“ (20. Dez. 1926)
jetzt in Salomo Friedlaender/Mynona: Grotesken II, books on demand 2008

Die Fotos entstanden neulich nachts in der Wohnung von Detlef Thiel, und zwar blind: im stockdunklen Flur, mit defekter Digitalkamera


Montag, 12. Oktober 2015

Ich hasse


Ich hasse Afrika.
Ich hasse Kleister.
Ich hasse Gläser.
Ich hasse Neuenburg.
Ich hasse Elvis.
Ich hasse Zeichen.
Ich hasse Berliner.
Ich hasse Teetassen.
Ich hasse kleine Tiere.
Ich hasse Masken. 
Ich hasse Kurzgeschichten.
Ich hasse Schnittlauch.
Ich hasse Dromedare.
Ich hasse Bierdeckel. 
Ich hasse Adressen. 
Ich hasse Tschechen.
Ich hasse Müll.
Ich hasse Autoren.
(Gott, wie ich die hasse!)
Ich hasse Hasse Türen.
Ich hasse Maya.
Ich hasse Künstler .
(natürlich die anderen, diese schlechten, selbstverliebten, säuerlichen, dämlichen erfolgreichen, erfolglosen, selbstmörderischen Teilzeitmenschen, Gottchen, wie ich sie hasse ,,,)
Ich hasse alte Teppiche.
Ich hasse neue Leichen.
Ich hasse Gott.
Ich hasse Mortadella .
Ich hasse Berge.
Ich hasse Löcher.
Ich hasse Kreise.
Ich hasse dich.
Ich hasse das Kleinmaleins.
Ich hasse Flöten.
Ich hasse Radiatoren. 
Ich hasse den Rasen.
Ich hasse den Hasen.
Ich hasse das Licht. 
Ich hasse Plastik .
Ich hasse Busen.
(Nein, tu ich nicht!)
Ich hasse Leute.
Ich hasse den Nordpol
Ich hasse Sweets.
Ich hasse Spielzeug.
Ich hasse Flugzeuge.
Ich hasse Gedichte. 
Ich hasse den Süden.
Ich hasse die Milch.
Ich hasse das Buch.
Ich hasse den Teufelskreis.
Ich hasse die Töne.
Ich hasse den Sänger.
Ich hasse das kleine u.
Ich hasse Brillen.
Ich hasse Pfannkuchen.
Ich hasse Harmonie.
Ich hasse Bäume.
Ich hasse die Schule.
Ich hasse das Zeichen.
Ich hasse das Spiel.
Ich hasse die Bayern. 
Ich hasse die Symmetrie .
Ich hasse den Absatz.
Ich hasse die Mutter.
Ich hasse deinen Onkel.
(Dieser Scheisskerl!)
Ich hasse das Loch.
Ich hasse den Himmel.
Ich hasse den Schmutz.

Ich mag meine Zehen. 

Fritz Sauter

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Die Kunst des Sammelns - Frankfurter Buchmesse 2015


A: Manchmal habe ich auch die Phantasie, als Sammler über die Buchmessen zu gehen. Was die Erwartungshaltung von Künstlern angeht, ist das psychologisch sicher nicht sehr einfach für manche Sammler. Es gibt eben mehr Künstler als Sammler. Das Angebot überschreitet deutlich die Nachfrage. 

O: Manchmal wünsche ich mir, unbekannt und unerkannt durch die Gänge der Künstlerbücher zu gehen. So muss ich mich manchmal durch die Stände lavieren; wohl wissend darum, beobachtet zu werden. Kommt er auch noch zu mir. Kauft er noch was… Das ist keine schöne Situation. Sie wollen ja auch niemanden verletzten. 

A: Ich weiß jetzt nicht, wer das gesagt hat. Vielleicht Andy Warhol: Was ist das wichtigste Thema bei Künstlern? Geld! Ich kenne keine Menschen, die so oft über Geld reden wie Künstler. Statistisch gesehen leben vermutlich nur zwei Prozent von Ihrer Kunst. Und in diesen Verhältnissen seine Existenz auf Künstlerbücher zu bauen, scheint ziemlich irre zu sein.

O: Vielleicht sind es 98 Prozent meiner Freunde und Bekannten, die überhaupt nicht wissen, dass ich Künstlerbücher sammele. Die haben überhaupt keine Vorstellung davon. Ein Buch ist für die einfach nur ein Buch. Wenn die meine Sammlung sehen und erfahren würden, wie viel Geld ich für Bücher ausgegeben habe, kämen sie zu dem Urteil, dass ich verrückt bin. Der eine oder andere geht dann lieber golfen. Selbst gute Freunde haben kein Verständnis dafür.

A: Kunst sammeln liegt vermutlich noch in deren Verständnis, aber so etwas Marginales wie Künstlerbücher ist denen vermutlich zu exotisch, zu abgehoben oder versponnen. Buchkunst ist eben nichts für erfolgreiche junge Zahnärzte, die sich jetzt ihren ersten Jonathan Meese leisten können. Wenn wir schon bei Klischees sind: Autorenkreise gelten ja oft als überkandidelt und introvertiert, während es in den Künstlerszenen laut und grell zugeht. Ich bin dazwischen…

O: Ich auch.

A = Hartmut Andryczuk
O = Gerhart Odenwald

Auszug aus "Die Kunst des Sammelns - Gerhart Odenwald (I)" Mit dieser Reihe werden Gespräche mit Privatsammlern im Künstlerbuch-Bereich veröffentlicht. 

Der Hybriden-Verlag auf der Frankfurter Buchmesse
14. bis 18. Oktober 2015
Halle 4.1 Stand L 21

Neue Titel: